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Notizbuch

Vordere Schulterluxation

- Schulter hat einen großen Bewegungsumfang und nur eine geringe knöcherne Führung: höchste Luxationsgefahr
- Inzidenz: 1.7% in der Allgemeinbevölkerung
- Stabilisatoren gegen eine vordere Instabilität:

  • bei adduziertem Arm der M. subscapularis
  • bei 45 Grad Abduktion das Lig. glenohumerale med. und inf., M. subscapularis
  • bei 90 Grad Abduktion das Lig. glenohumerale inf.

- Verletzungsmechanismus:

  • indirekte Krafteinwirkung in Abduktion, Außenrotation und Extension
  • direkte Krafteinwirkung gegen den posterolateralen Schulteranteil

- Richtung:

  • subcoracoidal
  • subclavicular
  • intrathorakal

- strukturelle Veränderungen:
(1)klassische Bankart-Läsion: Abriss des Labrums ohne periostalen Bandansatz und ohne
knöchernen Defekt des Glenoidrandes

(2)knöcherne Bankart-Läsion (85% aller Luxationen): knöcherner Abriss des Glenoidrandes zusammen mit dem Labrum und dem inferioren glenohumeralen Ligament

  • Typ 1: kleine Läsion (keine Therapie der Bankart-Läsion)
  • Typ 2: größeres Fragment, nach medial disloziert (Refixierung mit einer Schraube: CAVE Impingement am Kopf verhindern)
  • Typ 3: chronische Avulsion des Glenoids, Glenoid zeigte eine invertierte Birnenform (Therapie: Coracoid-Transfer nach Bristow/Laterjet oder J-Span nach Resch aus dem Beckenkamm)

(3)GLAD- Läsion (Glenolabral Articular Disruption): Knorpelläsion im Übergangsbereich
zum Labrum; oft ohne signifikante Labrumläsion
(4)ALPSA-Läsion (Anterior Labroligamentous Periostal Sleeve Avulsion): Abriss des Labrums und des glenohumeralen Bandes unter Ablösung des Periost
(5)Labrum Riss: radiär bei 1-2 Uhr
(6)HAGL (Humeral Avulsion of Glenohumeral Ligament): Läsion des Kapselbandkomplexes
am Humerus und nicht am Glenoid
(7)Hill Sachs Delle (Erstluxation: 38-50%): Impaktion des dorsolateralen Kopfes durch den
vorderen Pfannenrand (Radiologischer Beweis für Luxation)

 

Abb. 2-30: Zustand nach traumatischer Schulterluxation. Die Hill-Sachs-Delle zeigt sich in der Stryker-Aufnahme (A), sowie in der MRT-Bildgebung (B,C) (Eigentum des Instituts für Klinische Radiologie der Universität Münster)
Abb. 2-30: Zustand nach traumatischer Schulterluxation. Die Hill-Sachs-Delle zeigt sich in der Stryker-Aufnahme (A), sowie in der MRT-Bildgebung (B,C) (Eigentum des Instituts für Klinische Radiologie der Universität Münster)
Orthoforum

 

Einteilung:

- nach: Häufigkeit, Trauma, Richtung und Ausmaß der Instabilität
- TUBS:

  • Traumatisch
  • Unidirektional
  • Bankart Läsion
  • Surgical Repair

- AMBRII:

  • Atraumatisch
  • Multidirektional
  • Bilateral
  • Rehabilitation
  • Inferiorer Kapsel Shift
  • Intervallverschluss

- Gerber Klassifikation:

  • Typ 1: chronisch verhakte Luxation
  • Typ 2: unidirektionale Instabilität ohne Hyperlaxität
  • Typ 3: unidirektionale Instabilität mit Hyperlaxität
  • Typ 4: multidirektionale Instabilität ohne Hyperlaxität
  • Typ 5: multidirektionale Instabilität mit Hyperlaxität
  • Typ 6: willkürliche Instabilität

Bailey Klassifikation:

  • Polar Type I: traumatisch-strukturell
  • Polar Type II: atraumatisch-strukturell
  • Polar Type III: nicht-strukturell, Muskeldysfunktion

Klinik / Diagnose:

- Anamnese:

  • auslösendes Trauma
  • Umstände der Reposition bei Erstluxation (spontan, Narkose) und bei letzter Luxation
  • FEDS - frequency, etiology, direction, severity (subluxation/luxation)
  • Anzahl bisheriger Luxationen

- Vielen Patienten ist ein Taubheitsgefühl zum Zeitpunkt der Luxation erinnerlich.
- Durchblutung, Motorik und Sensibilität
- Röntgen zum Ausschluss einer Fraktur

Therapie:

- Reposition:

  • junge Sportler zeigen nur selten eine begleitende Fraktur, insofern kann durch leichte Abduktion und Innenrotation eine umgehende Reposition versucht werden, bevor eine muskuläre Abwehrspannung einsetzt (juristisch kritisch, wenn Fraktur vorliegt und daraus Komplikationen hervorgehen, in der Regel immer Röntgen): Empfehlung: immer Röntgen (Frakturausschluss), Ausnahme: Pulslosigkeit
  • Sedierung mit Diazepam intravenös und Schmerzmedikamenten (solange die Schulter luxiert ist, muss keine Atemsuppression befürchtet werden, nach Reposition oft umgehende Schmerzlinderung mit der Gefahr der Atemsuppression)
  • alternativ: intraartikuläre Analgesie mit 20ml Lidocain 1%; Injektion erfolgt 2cm distal des Akromions, direkt hinter dem Humeruskopf nachdem das intraartikuläre Hämatom abpunktiert wurde (Studien zeigen bessere Schmerzkontrolle)
  • Repositionstechniken:
    • (1) Arlt: Stuhllehne als Hypomochlion, leichter Zug Außenrotation zum Lösen der Verhakung in der Hill Sachs Delle und dann Reposition durch Innenrotation
    • (2) Stimson’s: in Bauchlage den Arm mit 5-7kg Gewicht über den Tisch hängen lassen, Reposition oft spontan innerhalb von 15 Minuten, Scapulamanipulation mit Öffnen des Glenoids möglich
    • (3) Kocher: in Rückenlage wird der Thorax mit einem Tuch umfasst und vom Assistenten zur Gegenseite gezogen, ein zweites Tuch wird um die Taille des Untersuchers und den 90 Grad angewinkelten Ellenbogen gelegt und durch Rückwärtsneigung des Oberkörpers Zug auf den Arm ausgeübt, dann zunächst Außenrotation und anschließend Reposition durch Innenrotation

- nach Reposition immer Röntgenkontrolle, und Dokumentation der Reposition
- Ruhigstellung nach Reposition:

  • Methode der Wahl für alle Nichtleistungssportler >20 Jahren
  • vor dem 20. Lebensjahr und bei Leistungssportlern ggf. primäre arthroskopische Operation erwägen
  • Ruhigstellung in Außenrotation (Donjoy Ultra-Sling ER) niedrigere Luxationsrate (Hoi) als bei Ruhigstellung in Innenrotation: kontrovers, bisher noch nicht durchgesetzt

- für den jungen aktiven Sportler:

  • zusätzliche Ruhigstellung (>1 Woche) nach Beschwerdefreiheit hat keinen positiven Effekt
  • nach einer initialen Ruhigstellung von einer Woche:
    • initial Abduktion und Außenrotation vermeiden
    • Bewegungstraining (Pendelübungen) in der Scapulaebene
    • anschließend Muskelaufbau (Rotatorenmanschette und periscapuläre Muskulatur) mit isometrischen dann isotonen Übungen
    • 6-12 Wochen bis die Kapsel-Band-Verletzungen heilen

- alle anderen Patienten sollten Armschlinge bis zum Abklingen der Symptome tragen: in
Studien hatte die Dauer der Ruhigstellung keinen Einfluss auf die Reluxationsrate

operative Therapie:
- Indikation:

  • ein junger Sportler, der aktiv wieder eine Kontaktsportart (Handball, Football, Lacrosse, Basketball) aufnimmt, hat ein nahezu 100%iges Reluxationsrisiko; aus diesem Grunde empfehlen einige Autoren für diese Patienten die direkte arthroskopische Operation
  • Sportler haben in jedem Fall ein höheres Reluxationsrisiko als Nichtsportler (82% versus 30%)
  • nach mehr als 2-3 Luxationen sind die Chancen einer erfolgreichen konservativen Therapie gering: Operation
  • verschobene Tuberculum majus Fraktur
  • nicht zu reponierende Frakturen
  • instabile Glenoidfrakturen

- arthroskopische Technik: arthroskopische Bankart-OP

  • Mobilisation des Labrums und der Kapsel
  • Anfrischen des Glenoidrands
  • Refixierung von Labrum und Kapsel mit Ankern am artikularseitigen Glenoidrand
  • ggf. posterior Kapselraffung, um posterioren Schenkel des IGHL (Inferior glenohumeral ligament) zu rekonstruieren
  • ggf. arthroskopischer Intervallverschluss (zwischen M. subscapularis und M. supraspinatus)
  • heute Methode der Wahl für jede Erstoperation

- offene Bankart-Operation:

  • Indikation: rezdivierende Instabilität, Glenoidfraktur
  • klassische Bankart-Läsion:
    • Ablösen des Subscapularis oder Subscapularissplit
    • Mobilisation des abgelösten Kapselbandkomplexes
    • Anfrischen des vorderen Pfannenrandes
    • Einbringen von Nahtankern und Refixierung des Labrums und der Kapsel
  • knöcherne Bankart ggf. Refixierung des Knochenfragments mit Schrauben
  • Rotatorenmanschettenintervallverschluss
  • ggf. T-förmige Kapselplastik nach Neer

- bei Verlust der glenoidalen Knochensubstanz oder erfolgloser Kapsel-Labrum
Rekonstruktion ggf.:

  • Operation nach Laterjet: nach Ablösen des Lig. coracoacromiale und Vorbohren des Coracoids wird dieses etwa 1.5cm proximal der Spitze abgesetzt und unterhalb der Glenoidmitte ca. 5mm medial des Glenoidrandes refixiert (niedrige Reluxationsrate, Nachteil: extrem schwierig zu revidieren bei Rezidiv, Komplikationsraten gering, aber unter Umständen schwere Komplikationen (Plexusläsion, CRPS))

 

Abb. 2-31: Zustand nach einer schweren traumatischen Schulterluxation mit einer großen knöchernen Bankartläsion (intraartikuläre Glenoidfraktur) in der Computertomografie (A). Bei einer ausgeprägten knöchernen Bankartläsion ist oft eine Refixierung des kn
Abb. 2-31: Zustand nach einer schweren traumatischen Schulterluxation mit einer großen knöchernen Bankartläsion (intraartikuläre Glenoidfraktur) in der Computertomografie (A). Bei einer ausgeprägten knöchernen Bankartläsion ist oft eine Refixierung des knöchernen Fragments oder die Anlage eines Beckenkammspans in der Technik nach Resch oder Warner notwendig. Alternativ kann bei einer rezidivierenden Luxation das anterior-inferiore Glenoid durch eine Bristow-Lasterjet Operation (B,C) augmentiert werden
Orthoforum

 

  • J-Span aus dem Beckenkamm nach Resch
  • Beckenkammspan in der Technik nach J.P.Warner:
    • Indikation: knöcherne Bankartläsion, bei der in der präoperativen CT-Bildgebung die Länge des anterioren Glenoiddefekts die maximale AP-Breite des verbleibenden Glenoids überschreitet
    • Fixierung eines Beckenkammspans am anterioren Glenoid

- post-OP:

  • 1.- 6. Woche:
    • Ruhigstellung, Mobilisation des Ellenbogen- und Handgelenks
  • nach 6 Wochen:
  • Verbesserung des Bewegungsumfanges innerhalb von 20 Grad des Bewegungsausmaßes der Gegenseite bis zur 8. Woche
    • Beginn isometrischer isotonischer Übungen mit dem Gummiband und ggf. Arbeit mit leichten Gewichten (Cave: Überlastung)
  • nach 12 Wochen Training wieder möglich
  • nach 6 Monaten Kontaktsport möglich

Prognose / Komplikation:

- konservative Therapie:

  • 75% der jungen Sportler erreichen nach konservativer Therapie ein Sportniveau wie
    vor der Luxation (ohne Beschwerden)
  • Reluxationsrate je nach Sportart ≥20%
  • das Alter ist der zweite wichtige Einflussfaktor auf das Reluxationsrisiko:
    • <20 Jahre: ca. 90%
    • >40 Jahre: <10-25%

- arthroskopische Technik: Reluxationsrate von ca. 10%
- offene Bankart-OP: Reluxationsrate in einzelnen Studien bis 3.5% (Rowe), bei den meisten Autoren (7-10%)

- Hyperlaxität: hyperlaxe Patienten haben erhöhtes Risiko für Erstluxation, Rezidiv nach Erstluxation, Rezidiv nach Stabilisierung

 

Abb. 2-32: Bei einer ausgeprägten Hill-Sachs Läsion kann es mit zunehmender Außenrotation und Elevation des Arms zu einer Luxation („engagement“) in den Hill-Sachs-Defekt kommen. Die prä- operative (Röntgen (A) und CT-Bildgebung (B) ggf. mit 3-D Rekonstru
Abb. 2-32: Bei einer ausgeprägten Hill-Sachs Läsion kann es mit zunehmender Außenrotation und Elevation des Arms zu einer Luxation („engagement“) in den Hill-Sachs-Defekt kommen. Die präoperative (Röntgen (A) und CT-Bildgebung (B) ggf. mit 3-D Rekonstruktion) und die intraoperative Beurteilung ist notwendig, um die Indikation zu einer Spongiosaplastik oder Allograftdefektrekonstruktion für den Hill-Sachs Defekt zu prüfen 
Orthoforum
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