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Notizbuch

Kahnbeinfraktur

- Kahnbein – Os scaphoideum
- proximale Handwurzelreihe, radial zwischen Radius und Trapezium
- mehr als 50% aller isolierten Handwurzelfrakturen sind Kahnbeinfrakturen
- das Kahnbein ist das entscheidende Verbindungsglied zwischen den proximalen und distalen Handwurzelknochen und damit verantwortlich für die Stabilität der Handwurzel
- Gefäßversorgung:

  • 75% von dorsal-distal
  • proximaler Pol hat die schlechteste Gefäßversorgung

- Verletzungsmechanismus:

  • Sturz auf den ausgestreckten pronierten Arm mit dem Handgelenk in Extension
  • in Hyperextension kommt es zu einem Impingement zwischen Radius und Kahnbein

Diagnose / Klinik:

- Schwellung der Hand
- Druckschmerz im Bereich der Tabatière anatomique
- Schmerz bei axialer Belastung des 1. Strahls
- Schmerz bei Radialabduktion
- Röntgen:

  • typisch: initial unauffälliges Röntgenbild bis Resorption im Bereich des Frakturspaltes einsetzt
  • Einstellungen: (1) dorsopalmare Aufnahme (dp), (2) seitliche Aufnahme, (3) Schrägaufnahme in 45 Grad und 60 Grad Pronation, „Kahnbeinquartett“: dp in leichter Ulna-Abduktion
  • sehr gut auch Stecher-Aufnahme zur Beurteilung des Kahnbeins in voller Länge
  • Winkel zwischen Kahn- und Mondbein 30-60 Grad in der seitlichen Ebene
  • innere Kahnbeinwinkel: normal <35 Grad (Amadio)
  • Höhe/ Länge (seitliche Aufnahme) Index (Bain)

- MRT oder CT: bevor eine Therapie auf Verdacht erfolgt, sollte die Diagnose immer mit einem Schnittbildverfahren verifiziert werden

  • CT:
    • 1mm Schichtung
    • gute Ausmessung des inneren Winkels und des Höhe/ Länge Index
    • gute Beurteilung der beginnenden knöchernen Konsolidierung
  • MRT:
    • Knochenödem als erstes Frakturzeichen
    • mit Kontrastmittel Beurteilung der Gefäßversorgung möglich

- ggf. Knochenszintigrafie, innerhalb von 24 Stunden positiv
- Einteilung:

  • nach Russe:
    • horizontaler Schrägbruch
    • Querbruch
    • vertikaler Schrägbruch

 

Abb. 7-10: Einteilung der Kahnbeinfrakturen nach Russe: horizontaler Schrägbruch (A), Querbruch (B) und vertikaler Schrägbruch (C)
Abb. 7-10: Einteilung der Kahnbeinfrakturen nach Russe: horizontaler Schrägbruch (A), Querbruch (B) und vertikaler Schrägbruch (C)
Orthoforum

 

 

Abb. 7-11: Eine Linie an die Gelenkflächen des Scaphoideum und Lunatum verläuft parallel zu der Gelenkfläche des Radius, genauso wie eine Linie an die Gelenkfläche des Scaphoideum und Lunatum parallel zu der Gelenkfläche des Capitatum und Hamatum verläuft
Abb. 7-11: Eine Linie an die Gelenkflächen des Scaphoideum und Lunatum verläuft parallel zu der Gelenkfläche des Radius, genauso wie eine Linie an die Gelenkfläche des Scaphoideum und Lunatum parallel zu der Gelenkfläche des Capitatum und Hamatum verläuft
Orthoforum

 

 

  • nach Fernandez
  • nach Herbert:
    • Typ A: stabile akute Fraktur
    • Typ B: instabile akute Fraktur
    • Typ C: verzögerte Heilung
    • Typ D: Pseudarthrose

 

Therapie:

- stabile, unverschobene Fraktur:

  • CT in der Regel nötig, um Fragmentverschiebung zu beurteilen
  • da Gefahr einer Verschiebung während Ruhigstellung besteht, empfehlen einige Autoren auch für die stabile unverschobene Fraktur eine operative Therapie
  • Kriterien für OP:
    • späte Diagnose (>4 Wochen): konservative Therapie mit geringerer Erfolgsrate
    • Fraktur des proximalen Pols: da schlechte Durchblutung bis zu 6 Monaten Gips nötig
    • Technik: perkutane Schraubeneinbringung über K-Draht
  • Gipsruhigstellung:
    • 12 Wochen
    • es ist nicht abschließend geklärt, ob es sinnvoll ist, den Gips bis zum Oberarm auszudehnen, um Pronation und Supination zu blockieren
    • Handstellung in Flexion und Extension möglich
    • keine Daten, dass langfristige Gipsruhigstellung zu einer Bewegungseinschränkung führt

- dislozierte Fraktur:

  • wenn eine Fragmentverschiebung auf den Röntgenbildaufnahmen sichtbar ist, steigt die Pseudarthroserate nach konservativer Therapie auf >50%
  • Fragmentverschiebung ist Indikation für operative Therapie
  • anatomische Reposition entscheidend
  • Spongiosaplastik aus distalem Radius über dorsalen Zugang möglich, alternativ: Beckenkammspanentnahme
  • kanülierte Schrauben
  • Zugang:
    • von dorsal: Fraktur des proximalen Pols, bessere Positionierung der Verschraubung, da von palmar der Rand des Trapeziums den Zugang erschwert
    • von palmar: Fraktur im Bereich des distalen Drittels und der Taille des Kahnbeins (Blutversorgung von dorsal)

- Pseudarthrose:

  • Wichtig, ob eine avaskuläre Nekrose vorliegt (MRT mit Kontrastmittel)
  • Osteosynthese:
    • Zugang:
      • von dorsal: wenn avaskuläre Nekrose oder Fraktur des proximalen Pols, bessere Fixierung und gefäßgestielter Knochenspan (distal dorsaler Radius oder distal palmarer Radius) möglich
      • von palmar: Fraktur der Taille des Kahnbeins ohne avaskuläre Nekrose
    • entscheidend: Karpalknochen korrekt ausrichten und Kahnbein korrekt reponieren
    • gefäßgestieltes (A. innominata der A. radialis) Knochentransplantat aus distalem Radius (Operation nach Zaidemberg)
    • gefäßgestieltes (A. metacarpalis dorsalis) Knochentransplantat aus dem Os metacarpale 2 (Operation nach Brunelli)
  • pulsiertes elektromagnetisches Feld (PEMF)
    • kein Ersatz für Knochenspan
    • als adjuvante Therapie sinnvoll
    • Problem: Therapie dauert sehr lange
  • Pseudarthrose führt zu sekundärer Arthrose in typischem Muster: (SNAC-wrist = scaphoid-nonunion-advanced collaps)
    • Stadium 1: im Bereich des Proc. styloideus radii
    • Stadium 2: Articulatio radiocarpalis zwischen Radius und Scaphoid
    • Stadium 3: zusätzlich Gelenkfläche zu Capitatum und Lunatum betroffen
    • Stadium 4: diffuse Arthrose der Handwurzelknochen

- schwere Destruktion mit Kollaps und Pseudarthrose des Kahnbeins und sekundärer Arthrose

  • Therapieoptionen:
    • Entfernung der proximalen Karpalknochen (Arthrose Phase 1 und 2): proximal row carpectomy
    • Handgelenksversteifung (Phase 3 und 4)
    • Kahnbeinentfernung und Fusion von Lunatum, Hamatum, Capitatum und Triquetrum (Arthrose Phase 3 und 4): Mediokarpalarthrodese oder „four corner fusion“

Prognose / Komplikation:

- verzögerte Heilung (bis zu 10 Monate bei Fraktur des proximalen Drittels)
- avaskuläre Knochennekrose (bis 60% der Frakturen des proximalen Drittels)
- Pseudarthrose:

  • wenn Diagnose in den ersten 4 Wochen nicht gestellt wird, steigt die Pseudarthroserate von 5 auf 45%
  • proximales Drittel 30%, mittleres Drittel 10-20%, distales Drittel <5%
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