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Notizbuch

Nervenverletzung

- initiale Untersuchung entscheidend
- gute Dokumentation, wenn aufgrund von Schmerzen, Weichteilverletzung oder Frakturen nur eine eingeschränkte Untersuchung möglich ist

Einteilung:

Sunderland
- 1. Grad: Neuropraxie

  • lokaler Leitungsblock mit segmentaler Demyelinisierung
  • in der Regel komplette Erholung in wenigen Tagen bis 12 Wochen

- 2. Grad: Axonotmesis

  • axonale Verletzung, die zu Waller-Degeneration führt
  • Axon sprosst in intaktes Endoneurium aus
  • Erholung: 1mm/Tag
  • in der Regel komplette Erholung, da die Nervenhülle intakt
  • Muskelatrophie bei langen Nerven aufgrund langer Reparaturzeit

- 3. Grad:

  • Verletzung des Axons mit Vernarbung des Endoneuriums
  • Erholung: langsam 1mm/Tag
  • Erholung nicht vorhersagbar; abhängig von Vernarbung und korrekter Ausrichtung der motorischen und sensiblen Fasern

- 4. Grad:

  • der Nerv ist intakt, jedoch verhindert Narbengewebe eine Nervenregeneration über den Defekt hinaus
  • keine Erholung

- 5. Grad: Neurotmesis

  • Durchtrennung des Nerven
  • keine Erholung

- (6. Grad: Kombination aus 4 und 5) wird eher selten benutzt

  • verschiedene Faszikel unterschiedlich betroffen (Grad 4 oder 5)
  • entlang des Nervenverlaufs unterschiedliche Defekte

Diagnose / Klinik:

- klinische Untersuchung:

  • Schlüsselgriff, Spitzgriff, Fingerspreizung
  • Sensibilität im Versorgungsgebiet des betroffenen Nerven
  • 2-Punkt-Diskriminierung: Reiz mit spitzem Gegenstand kann an den Fingerkuppen im Abstand von normal 2-5mm und an der Rückseite der Finger zwischen 6-10mm differenziert werden
  • Hoffmann-Tinel-Zeichen: Perkussion des Nerven führt zu Missempfindungen in seinem Versorgungsgebiet; mit zunehmendem Wachstum des Axons lässt sich ggf. das Tinel-Zeichen weiter distal auslösen
  • Münzprobe: Münze soll ohne Sicht vom Tisch aufgehoben werden
  • Motorik:
    • N. ulnaris: M. adductor pollicis, Interosseus-Muskulatur, Hypothenar-Muskulatur
    • N. medianus proximal: M. flexor pollicis longus, M. flexor digitorum superficialis und profundus
    • N. medianus distal: M. opponens pollicis, M. flexor pollicis brevis, M. abductor pollicis brevis
    • N. radialis: M. extensor pollicis longus
    • proximale und distale Ulnarislähmung: Krallenhand (Spätfolge)
    • proximale Medianuslähmung: Schwurhand
    • proximale Radialislähmung: Fallhand
  • Sensibilität:
    • N. ulnaris: Kleinfinger und ulnare Ringfingerhälfte
    • N. medianus: handinnenseitig radiale 3 ½ Finger
    • N. radialis: Hand- und Fingerrücken 1.-3. Strahl

- Nervenleitgeschwindigkeit
- Elektromyografie (EMG):

  • Fibrillationen (ab 2-4 Wochen nach Verletzung) sind ein Zeichen einer Denervierung

Therapie:

- Grad 1-3: konservative Therapie möglich
- Grad 4-6: operativ
- Grundprinzipien: operative Therapie

  • mikrochirurgische Operationstechnik
  • spannungsfreie Adaptation; wenn dies nicht möglich ist: Nerventransplantation
  • Naht des Nerven in Neutralstellung der Extremität
  • nach etwa 10 Tagen beginnt die postoperative Physiotherapie, um motorische und sensible Funktion zu trainieren
  • bei einem neurologischen Defizit nach offenen, scharfen Verletzungen sollte man davon ausgehen, dass der Nerv verletzt ist
  • neurologisches Defizit nach geschlossener Verletzung: Nerv sollte intakt sein, EMG nach 7-28 Tagen

- Naht des Epineuriums versus einzelner Faszikel:

  • in Studien kein Vorteil einer Naht der Faszikel
  • es ist ungünstiger, die falschen Faszikel zu verbinden, als von vornherein nur das Epineurium zu adaptieren
  • die längere Operationszeit gefährdet den Vorteil einer genauen Adaptation

- Zeitpunkt der Reparatur:

  • primäre Naht: bei Schnittverletzungen und qualifiziertem Operateur
  • verzögerte Naht: frühestens 3 Wochen nach Trauma bei ausgedehnter Gewebstraumatisierung
  • wenn 3 Monate nach einer geschlossenen Verletzung keine Besserung klinisch oder im EMG

- Nerventransplantation:

  • wenn eine spannungsfreie Naht nicht möglich ist
  • Transplantatauswahl:
    (1) N. suralis
    (2) Ramus anterior N. cutaneus antebrachii
    (3) N. cutaneus antebrachii lateralis
    (4) Bedeutung gefäßgestielter Transplantate ist unklar

Prognose / Komplikation:

- Erholung abhängig vom Ausmaß der Vernarbungen und vom Verlust der Anordnung der
sensiblen und motorischen Fasern des Nerven
- günstige Prognose:

  • <30. Lebensjahr
  • distale Nervennaht bessere Prognose als proximale
  • scharfe Verletzungen bessere Prognose als stumpfe
  • frühe Naht bessere Prognose als verzögerte Naht
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