Humeruskopffraktur
- Risikofaktor: Osteoporose
- Humerushals (Collum chirurgicum): schwächste Region
Bildgebung:
- Röntgen: AP, Skapula-Y-Aufnahme, axiale Aufnahme
- Computertomografie:
- verbessert die Genauigkeit der Frakturklassifikation nicht
- hilfreich, um das Ausmaß einer Trümmerfraktur, eine Gelenkbeteiligung und den Zustand des Tuberculum minus zu beurteilen
Einteilung:
Neer-Klassifikation:
- geringe Reproduzierbarkeit
- folgende Faktoren werden beurteilt:
- Fragmentverschiebung von >1cm
- Fragmentabknickung von >45 Grad
- 4 Fragmente: Humeruskopf, Tuberculum majus, Tuberculum minus und Humerusschaft
- Collum chirurgicum Fraktur (2-Fragment-Fraktur):
- beide Tubercula verbleiben am Humeruskopf
- durch den Zug des M. pectoralis wird der Schaft nach medial gezogen
- Tuberculum majus Fraktur (2-Fragment-Fraktur):
- vordere Schulterluxation aus-schließen
- die Rotatorenmanschette zieht das Tuberculum nach dorsal
- Tuberculum minus Fraktur (2- Fragment-Fraktur)
- klinisch wichtig ist Unterteilung 3-Fragment und 4-Fragmentfraktur:
- 3-Fragment-Fraktur: Tuberculum minus intakt, Blutversorgung in der Regel gut
- 4-Fragment-Fraktur: Tuberculum minus ist frakturiert und die Blutversorgung eingeschränkt; Osteonekroserisiko ist erhöht
AO-Klassifikation: AO-Klass: 11-A bis 11-C
- 27 Unterklassen gestatten genaue Fraktureinteilung
- Typ A: extraartikuläre Fraktur durch Tuberculum majus (A1) oder Collum chirurgicum (A2)
- Typ B: Fraktur des Collum chirurgicum und Tuberculum majus oder minus
- Typ C: intraartikuläre Fraktur mit Beteiligung des Collum anatomicum
Therapie:
- individuelle Entscheidung unter Berücksichtigung des Alters, der Funktion, der Knochenqualität und der Erwartungshaltung des Patienten:
„Quality of the bone and quality of the patient“
- meisten Frakturen sind eingestaucht und nicht verschoben:
- kurzzeitige Ruhigstellung im Gilchrist
- schmerzadaptierte Mobilisation innerhalb von 2 Wochen
- Collum chirurgicum Fraktur (2-Fragment-Fraktur):
- geschlossene Reposition
- stabil: frühe Krankengymnastik
- instabil: Plattenosteosynthese, perkutane Pins
- Tuberculum majus Fraktur (2-Fragment-Fraktur):
- vordere Schulterluxation ausschließen
- die Rotatorenmanschette zieht das Tuberculum nach dorsal und macht eine geschlossene Reposition schwierig, deswegen perkutane K-Draht assistierte Reposition empfohlen
- Tuberculum minus Fraktur (2-Fragment-Fraktur):
- hintere Luxation ausschließen
- Subscapularis Funktion intakt?
- Subluxation der langen Bizepssehne ausschliessen
- ggf. Fragment Fixierung oder Resektion und Fixierung des M. subscapularis im Knochenbett
- 3 Fragment-Fraktur (meist Collum chirurgicum und Tuberculum majus):
- offene Reposition, Zuggurtung (8-ter Tour), Osteosynthese (winkelstabile Platte, Bündelnägel nach Hackethal)
- Alternative: geschlossene perkutane K-Draht-Reposition, nur wenn bereits Erfahrung mit der Versorgung von 2-Fragmentfrakturen
- beim älteren Menschen Indikation zur Prothese prüfen
- Humeruskopfnekroserate: 27%
- 4 Fragment-Fraktur:
- Humeruskopfnekroserate hoch
- offene Reposition und Osteosynthese mit winkelstabiler Platte beim jungen Patienten
- Hemiprothese beim älteren Patienten
- in Valgusstellung eingestauchte Frakturen ohne laterale Verschiebung haben die geringste Humeruskopfnekroserate
- ggf. konservative Therapie: älterer Patient, wenn schlechtere Funktion in Kauf genommen werden kann oder das Operationsrisiko unvertretbar hoch ist
- frühe Rehabilitation (<2 Wochen) wichtig für das Funktionsergebnis
- Hemiarthroplastik:
- gute Schmerzreduktion, jedoch nur eingeschränkte Wiederherstellung der Funktion
- frühe Prothesenimplantation zeigt bessere Ergebnisse als die Implantation nach fehlgeschlagener offener oder geschlossener Therapie
- entscheidend: Wiederherstellung der Kopfretroversion und der Humeruslänge
Kindesalter:
- direkter Sturz mit gestrecktem Ellenbogen
- Kindesmisshandlung ausschließen
- In der Regel Frakturen im Bereich des Collum chirurgicum (Metaphyse): partielle (11-M/2) oder komplette (11-M/3) metaphysäre Frakturen
- Therapie:
- <10. Lebensjahr: bis 30 Grad (Extension/Flexion) oder 10 Grad (Varus/Valgus) Dislokation konservative Therapie
- >10. Lebensjahr: bis 20 Grad (Extension/Flexion) oder 10 Grad (Varus/Valgus) Dislokation konservative Therapie
- ggf. indirekte Reposition in „hanging cast“ oder geschlossene Reposition unter Narkose
- operative Therapie: 1.6-2.0mm K-Draht Osteosynthese oder intramedulläre Nagelung mit 2 Marknägeln (Durchmesser: 1/3 des Markraums) von distal in das Fragment; offene Reposition nur bei Weichteilinterposition
Prognose / Komplikationen:
- adhäsive Kapsulitis: Prophylaxe durch frühe Physiotherapie
- bei isolierten Frakturen der Tubercula immer eine Luxation ausschließen
- >40. Lebensjahr: an Rotatorenmanschettenrupturen denken
- Pseudarthrose:
- stabile Fixierung und Spongiosaplastik
- erhöhtes Risiko:
- starke Fragmentverschiebung
- Weichteilinterposition
- schlechte Weichteildeckung
- schlechte Knochenqualität
- perkutane Pins: hohes Verletzungsrisiko für Nervus axillaris, Vena cephalica, Bicepssehne, N. musculocutaneus