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Notizbuch

Beckenringfraktur

Abb. 3-11: Beckenring wird durch die sacroiliacalen, sacrotuberalen und sacrospinalen Bänder gesichert (mit freundlicher Genehmigung von AO Publishing Copyright © 2003, by AO Publishing, Switzerland)
Abb. 3-11: Beckenring wird durch die sacroiliacalen, sacrotuberalen und sacrospinalen Bänder gesichert (mit freundlicher Genehmigung von AO Publishing Copyright © 2003, by AO Publishing, Switzerland)
Orthoforum

- Rasanztrauma, massive Gewalteinwirkung (Verkehrsunfall)
- Inzidenz 37 Fälle / 100.000 Einwohner / Jahr
- 5% aller Frakturen

Diagnose / Klinik:

- genaue Untersuchung der Anogenitalregion: Hämatome

  • Frauen: intravaginale Untersuchung
  • rektale Untersuchung: Verlagerung von Prostata oder Rektum
  • Verletzung der Urethra (15% bei instabilen Beckenringverletzungen): Blutung aus Harnröhre, Verlagerung der Prostata, Hämaturie

 

- Beinlängendifferenz
- Palpation der anatomischen Landmarks (Spina iliaca anterior et posterior, Crista iliaca, Symphyse)
- manuelle Untersuchung der Beckenstabilität gibt früh Hinweis auf den Verletzungstyp
- neurologischer Status
- Labor (Anämie)

Bildgebung:

- Röntgen:

  • Beckenübersicht AP
  • Inletaufnahme:
    • Strahlenverlauf von cranial in das Becken
    • Beckeneingangsebene mit direkter Aufsicht auf die Linea terminalis
    • Beurteilung ventro-dorsale Verschiebung
  • Outletaufnahme:
    • Strahlenverlauf von distal im Winkel von 45 Grad
    • Beurteilung cranio-kaudale Verschiebung
    • Beurteilung Sakrum

- Computertomografie: Knochen- und Weichteilfenster
- Sonografie: retroperitoneales Hämatom
- retrograde Urethrografie, ggf. Zystografie
- Proktoskopie, ggf. Rektoskopie

Einteilung:

ABC Klassifikation nach Tile und AO: (in Anlehnung an Müller E., ed. ComprehensiveClassification of Pelvis and Acetabulum Fractures. Bern, Schweiz, Maurice Müller Foundation, 1995)
- Typ A: stabile Beckenringfrakturen

  • Verletzungsmechanismus. AP-Kompression, Außenrotation
  • hinterer Beckenring intakt
  • A1: Abrissfraktur des Beckenrandes (Spina iliaca etc.)
  • A2: stabile, gering verschobene Fraktur der Beckenschaufel
  • A3: Querfraktur des Kreuz- oder Steißbeins, die nicht den Beckenring betrifft

 

Abb. 3-12: ABC Klassifikation nach Tile: Beispiele für Typ A Frakturen
Abb. 3-12: ABC Klassifikation nach Tile: Beispiele für Typ A Frakturen
Orthoforum

 

- Typ B: partiell instabile Fraktur (rotationsinstabil) mit inkompletter Unterbrechung des hinteren Beckenrings

  • Verletzungsmechanismus: laterale Kompression, Innenrotation
  • hintere Beckenring ist unterbrochen und damit bei Rotationsbelastung instabil
  • B1: einseitige Außenrotationsverletzung („open book“), Sprengung der Symphyse und der Ligg. sacroiliaca ventralia, so dass sich die Beckenschaufeln wie die Seiten eines Buches nach außen aufdrücken lassen
  • B2: einseitiges Innenrotationstrauma oder laterale Kompression des Beckens mit Fraktur des vorderen Beckenrings (Schambein) oder des Sakrums
  • B3: beidseitige Außen- oder Innenrotationsverletzung

 

Abb. 3-13: ABC Klassifikation nach Tile: Beispiele für Typ B Frakturen (B2: entweder vorderer Beckenring oder Sakrum)
Abb. 3-13: ABC Klassifikation nach Tile: Beispiele für Typ B Frakturen (B2: entweder vorderer Beckenring oder Sakrum)
Orthoforum

 

- Typ C: komplette dreidimensional instabile Fraktur, d.h. Rotations- und Translationsinstabilität

  • Verletzungsmechanismus: Translation in vertikaler Richtung
  • hinterer Beckenring komplett unterbrochen, damit Translations- und Rotationsinstabilität
  • C1: einseitig instabil, Gegenseite stabil
  • C2: einseitig komplett instabil, Gegenseite nur rotationsinstabil
  • C3: beidseitig instabil

 

Abb. 3-14: ABC Klassifikation nach Tile: Beispiele für Typ C Frakturen
Abb. 3-14: ABC Klassifikation nach Tile: Beispiele für Typ C Frakturen
Orthoforum

Therapie:

- Notfallmaßnahmen (Schockraum) bei Kreislaufinstabilität

  • Beckenkompressionsverband (Besenstiel)
  • pneumatischer Notfallbeckengürtel nach Baumgärtel
  • Beckenzwinge
  • ventraler, supraacetabulärer Fixateur extern
  • Angiografie / Embolisation
  • Laparotomie / Beckentamponade

 

Abb. 3-15: Laterale Impressionsfraktur
Abb. 3-15: Laterale Impressionsfraktur
Orthoforum

konservative Therapie:
- Indikation:

  • Beckenrandabrissfrakturen (Typ A1)
  • stabile Beckenfraktur (Typ A2 und A3)
  • Frakturen aufgrund lateraler Kompression (Typ B2 und B3)

- auch bei diesen Verletzungen ist eine operative Intervention notwendig: wenn

  • ausgedehnter Blutverlust
  • unklare Blutungsquelle
  • Nervenverletzung

- Bettruhe, anschließend Mobilisation unter schmerzadaptierter Teilbelastung (Röntgenkontrolle)

 

operative Therapie:
- Indikation:

  • Typ B1, Typ B2, Typ B3, wenn Beinverkürzung >1cm oder Innenrotationsabweichung >15 Grad
  • Typ C

- Typ B:

  • externe Fixierung über ventralen Fixateur (temporär) oder
  • Plattenosteosynthese der Symphyse

 

Abb. 3-16: Fixateur extern: Pins im Bereich der Spina ilica anterior inferior (A), Sicherung der Symphyse mit 2 5-Loch Platten (B), anteriore Fixierung mit mindestens 2 Schrauben in das Os pubis, 2 Schrauben in das Os Ilium und diversen Schrauben, die den
Abb. 3-16: Fixateur extern: Pins im Bereich der Spina ilica anterior inferior (A), Sicherung der Symphyse mit 2 5-Loch Platten (B), anteriore Fixierung mit mindestens 2 Schrauben in das Os pubis, 2 Schrauben in das Os Ilium und diversen Schrauben, die den Bruchspalt überbrücken (C) (mit freundlicher Genehmigung von AO Publishing, Copyright © 2003, by AO Publishing, Switzerland)
Orthoforum

 

- Typ C:

  • Verletzungen des vorderen Beckenrings: offene Reposition und Schrauben- oder Plattenosteosynthese
  • Verletzungen des hinteren Beckenrings:
    • ISG Dislokation:
      • Plattenosteosynthese zwischen Ilium und lateralem Os sacrum
      • Alternative: perkutane Verschraubung (ggf. CT gesteuert)
    • ISG Frakturen:
      • Fixierung des Fragments mit Platte oder Schrauben
    • Sakrumfrakturen:
      • Plattenosteosynthese
      • perkutane Schraubenosteosynthese

 

Abb. 3-17: SI-Verschraubung und Anlage eines supraacetabulären Fixateur externe bei einer Typ C Beckenfraktur
Abb. 3-17: SI-Verschraubung und Anlage eines supraacetabulären Fixateur externe bei einer Typ C Beckenfraktur
Orthoforum

 

- instabile Fraktur und instabiler Kreislauf: Notfalloperation

  • Typ B1: ggf. mit einfachem Fixateur
  • Typ C: Beckenzwinge nach Ganz zur Stabilisierung des dorsalen Beckenrings
  • da meist Blutungen venösen Ursprungs, reicht eine externe Fixierung oft zur Tamponade und Adaptierung der Bruchflächen aus
  • bei arteriellen Blutungen kann in ¾ der Fälle durch eine Angiografie und Embolisation die Blutung kontrolliert werden

- post-OP:

  • Teilbelastung für 6 Wochen
  • perioperative Antibiotikaprophylaxe

Prognose / Komplikationen:

- Patienten mit instabilem Kreislauf haben eine Mortalität von 10%
- Typ A und B: Mehrzahl exzellente Ergebnisse
- Typ C: <50% exzellente Ergebnisse (häufig Begleitverletzungen)

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