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Notizbuch

Habituelle Patellaluxation

- häufig jugendliche, ambitionierte Sportler
- Jungen = Mädchen
- bei einer lateralen Subluxation kommt es zu einem Anschlagen der medialen Patellafacette gegen den lateralen Femurkondylus, hier sind auch die Knorpelverletzungen zu suchen
- Risiko Faktoren:

  • erhöhter Q-Winkel:
    • verstärkt Lateralisierung der Patella
    • führt nicht automatisch zu einer Patellainstabilität
  • Missverhältnis:
    • Bandlaxizität und verhältnismäßig geringe Muskelmasse (Entwicklung der Muskelmasse bleibt hinter dem Längenwachstum um einige Jahre zurück): vor Abschluss der Skelettreifung höhere Rate an rezidivierenden Luxationen
  • vermehrte Antetorsion der Schenkelhälse
  • Patella alta
  • ausgeprägte Pronation des Mittelfußes
  • hypoplastische laterale Femurkondyle
  • Kontraktur des Tractus iliotibialis
  • relativ vertikaler Ansatz des Vastus medialis
  • Genu valgum:
    • physiologisch beim wachsenden Kind
    • verstärkt die Lateralisation der Patella

- mediale Stabilisatoren:

  • Muskelfaszie
  • Gelenkkapsel
  • Lig. patellofemorale mediale: primärer medialer Stabilisator und bei einer akuten Luxation immer verletzt

- laterale Stabilisatoren:

  • Fasern des Tractus iliotibialis
  • laterale ischiokrurale Muskulatur
  • Lig. patellofemorale laterale
  • Muskelfaszie des Quadrizeps

Einteilung:

- akute traumatische Patellaluxation
- rezidivierende Patellaluxation: wiederkehrende Luxation der Patella bei prädisponierenden Faktoren
- habituelle Patellaluxation: Patella ist willkürlich durch Anspannung des Quadrizeps, insbesondere des Vastus lateralis, luxierbar
- kongenitale Patellaluxation
- neurogene Patellaluxation: bei spastischer Cerebralparese
- iatrogene Patellaluxation: mediale Instabilität nach operativen Eingriffen

Klinik / Diagnose:

- Verletzungsmechanismus: ohne Fremdeinwirkung durch Innenrotation in der Hüfte bei in Valgusstellung fixiertem Fuß
- Verletzung des Lig. patellofemorale med.: Druckschmerz über dem Epicondylus medialis
- Untersuchung der Kreuz- und Seitenbänder zum Ausschluss einer Kniegelenksinstabilität
- Kniegelenksstellung: Varus/Valgus-Ausrichtung im Stehen
- Q-Winkel:

  • Winkel zwischen Linie spina iliaca anterior superior - Patellamitte (Quadrizepszugrichtung) und Linie Patellamitte - Tuberositas tibiae (Verlauf Patellasehne)
  • Normwerte: Mann 10°, Frau: <20° (15-20º grenzwertig, >20º pathologisch)

- Hüftrotation: vermehrte Antetorsion des Schenkelhalses
- Quadrizepsfunktion und Atrophie
- Beurteilung der Patellaführung

 

Abb. 4-29: Koshino-Index: Verhältnis PT:FT ist 1.31 in Streckung und 0.99 in 90 Grad Beugung (A); Insall –Salvati –Index: Verhältnis der Länge der Patellasehne (LS) zur Länge der Patella (LP), ein Index>1.2 ist eine Hinweis auf eine Patella alta, ein Inde
Abb. 4-29: Koshino-Index: Verhältnis PT:FT ist 1.31 in Streckung und 0.99 in 90 Grad Beugung (A); Insall –Salvati –Index: Verhältnis der Länge der Patellasehne (LS) zur Länge der Patella (LP), ein Index>1.2 ist eine Hinweis auf eine Patella alta, ein Index<0.8 ist ein Hinweis auf eine Patella baja (B); Blackburne-Peel-Index: Verhältnis zwischen dem Abstand der Gelenklinie zum Unterrand der Patellagelenkfläche (A) und der Länge der Patellagelenkfläche (B), Normwert ist <0.8, ein Wert >1.0 ist ein Hinweis auf eine Patella alta (C)
Orthoforum

 

- Patella „apprehension sign“:

  • Verschieben der Patella nach lateral über den lateralen Femurkondylus löst ein Apprehension (Ausweichen) aus
  • nach Operationen immer eine mediale Instabilität ausschließen

- Röntgen: AP, seitlich, Patella tangential

  • seitlich: Patella alta
    • Insall Salvati Index aufgrund der teilweise noch knorpelig präformierten Patella geringere Aussagekraft
    • besser: Koshino-Index: Verhältnis der Linie vom Mittelpunkt der Tibiaepiphyse zum Mittelpunkt der Patella und vom Mittelpunkt der Tibiaepiphyse zum Mittelpunkt der Femurepiphyse (Hälfte der Strecke vorderer Epiphysenrand zu hinterem Epiphysenrand)

 

Abb. 4-30: Knie eines 15-jährigen Mädchens nach mehrfacher Operation (A), und einem Rezidiv der Patellaluxation (B-C)
Abb. 4-30: Knie eines 15-jährigen Mädchens nach mehrfacher Operation (A), und einem Rezidiv der Patellaluxation (B-C)
Orthoforum

 

  • Patella tangential: bei 20-30 Grad Beugung
    • Inkongruenz zwischen Patella und Trochlea kann Ausdruck einer noch nicht vollständigen Verknöcherung der Femurkondylen sein
    • Winkel zwischen medialem und lateralem Kondylus (Trochlea) nimmt mit dem Alter zu
    • Laurin Winkel: Winkel einer Tangente an die laterale Facette der Patella und Verbindungslinie zwischen dem höchsten Punkt des medialen und lateralen Kondylus sollte nach lateral offen sein

 

Abb. 4-31: Verbindung zwischen Patellafirst und tiefster Stelle des Sulcus intercondylaris liegt medial der Winkelhalbierenden des Sulcuswinkels (A), Laurin-Winkel (B)
Abb. 4-31: Verbindung zwischen Patellafirst und tiefster Stelle des Sulcus intercondylaris liegt medial der Winkelhalbierenden des Sulcuswinkels (A), Laurin-Winkel (B)
Orthoforum

 

  • Merchant Aufnahme: 45 Grad Beugung
    • Sulcuswinkel: Verbindung des tiefsten Punkts der Fossa intercondylaris mit dem höchsten Punkt des medialen und lateralen Kondylus
    • Winkelhalbierende des Sulcuswinkels
    • Verbindung zwischen Patellafirst und tiefster Stelle der Fossa intercondylaris sollte medial der Winkelhalbierenden liegen
  • Tangential Aufnahme im Stehen nach Baldini: 45 Grad Beugung
    • reproduziert die tatsächliche Patellastellung unter Belastung
    • bessere Korrelation zur klinischen Symptomatik

- MRT:

  • gute Beurteilung des teilweise knorpelig präformierten Patellofemoralgelenks
  • Begleitverletzungen: Kapsel, Retinaculum, Knorpelläsion

Therapie:

konservative Therapie:
- zunächst immer konservative Therapie
- Reposition unter Sedierung und adäquater Schmerzausschaltung, langsame Streckung mit gleichzeitigem Druck nach medial
- nach Reposition Ruhigstellung in Streckung bis Beschwerden rückläufig
- lange Ruhigstellung vermeiden: Auftrainieren eines atrophen Quadrizepsmuskels nach längerer Ruhigstellung langwierig
- isometrische und isotonische Übungen: Anheben, Adduktion und Abduktion des gestreckten Beins
- systematisches Auftrainieren des Quadrizeps- im schmerzfreien Bereich trainieren: in der geschlossenen Kette nimmt die patellofemorale Belastung mit zunehmender Flexion zu, in der offenen Kette umgedreht
- selektives Auftrainieren des Vastus medialis nicht möglich
- Schiene mit Flexionsbegrenzung
- Propriozeptionstraining
- Dehnung der Quadrizepsmuskulatur und Kräftigung der ischiokruralen und der Wadenmuskulatur, um harmonisches Muskelspiel zu erreichen
- bei Pronationsstellung des Mittelfußes ggf. Versorgung mit einer supinierenden Einlage

operative Therapie:
- Operation nur nach Scheitern einer intensiven konservativen Therapie (der Arzt sollte die Compliance des Patienten überprüfen)- zurückhaltende Indikationsstellung: alle Operationen haben hohe Versagerraten
- relative Operationsindikation:

  • traumatische Luxation mit Zerreißung des Lig. patellofemorale mediale
  • traumatische Luxation mit einer therapiebedürftigen osteochondralen Läsion
  • rezidivierende Luxationen trotz konservativer Therapie bei Vorliegen korrigierbarer prädisponierender Faktoren (Q-Winkel)

- Weichteileingriffe:

  • nur erfolgversprechend, wenn keine knöchernen Faktoren wie:
    • vergrößerter Q-Winkel
    • ausgeprägtes Genu valgum
    • flache Fossa intercondylaris
    • ausgeprägte femorale Antetorsion
  • ein alleiniges laterales Release ist nicht ausreichend
  • traumatische Luxation: anatomische Rekonstruktion des Lig. patellofemorale mediale an seinem Ansatz im Bereich des Epicondylus medialis empfohlen, eine Verstärkung mit der Semitendinosussehne wurde beschrieben
  • Arthroskopie: laterales Release und mediale Raffung
    • Patellaführung gut beurteilbar
    • geringe Traumatisierung
    • Blutversorgung der Patella wird nicht gefährdet
  • Operation nach Goldthwait:
    • Längsspaltung der lateralen Patellasehne
    • der laterale, distale Anteil wird unter dem medialen Anteil hindurch nach medial geführt und dort mit der Kapsel vernäht
    • gleichzeitig offenes laterales Release
  • Operation nach Insall:
    • Vastus medialis wird mit peripatellarem Kapselgewebe von der Patella gelöst und lateral wieder fixiert
    • offenes laterales Release
    • post-OP: Schiene mit Limitierung der Flexion auf 30-60 Grad

- knöcherne Eingriffe:

  • Operation nach Roux-Hauser:
    • V-förmige Osteotomie der Tuberositas tibiae
    • der laterale Schenkel verläuft parallel der Tibiavorderkante und die mediale Osteotomie senkrecht
    • nach Abschieben des Periosts medial und Anfrischung der medialen Tibiakortikalis wird der Knochenblock medial mit Schrauben refixiert und das Periost darüber vernäht
    • da der Ansatz der Sehne nach posterior verschoben wird und damit sich der retropatellare Druck erhöht, wird diese Technik heute nicht mehr empfohlen
  • Operation nach Elmslie-Trillat:
    • Verlagerung der Tuberositas nach medial
    • der distale Anteil bleibt intakt, um die Stabilität zu erhöhen und eine frühe Mobilisation zu ermöglichen (Methode der Wahl)
  • Modifikation nach Fulkerson:
    • leicht nach medial ansteigende Osteotomie der Tuberositas tibiae
    • der distale Anteil bleibt erhalten und die Tuberositas wird nach medial und anterior verlagert
    • korrigiert erhöhten Q-Winkel und verringert den patellofemoralen Kontaktdruck
    • Methode der Wahl bei Vorliegen von degenerativen Veränderungen der lateralen Facette und Knorpelläsionen
  • eine Distalisierung der Tuberositas (zum Beispiel bei Patella alta) sollte aufgrund der resultierenden Erhöhung des retropatellaren Drucks vermieden werden
  • Anheben des lateralen Femurkondylus durch Osteotomie von lateral: keine Langzeitergebnisse
  • Patellektomie:
    • Salvage-Operation
    • exzellente Technik ist Voraussetzung für ein befriedigendes Operationsergebnis

Komplikationen / Prognose:

- Die teilweise bei jungen Mädchen mit rezidivierenden Patellaluxationen vorliegenden multiplen Narben illustrieren die Problematik einer frühzeitigen operativen Korrektur. Die Rezidivrate ist hoch und sollte immer berücksichtigt werden.
- postoperative Bewegungseinschränkung: Funktionsverschlechterung bei Patienten mit Cerebralparese
- Pseudarthrose und Fraktur der Tuberositas tibiae
- persistierender vorderer Knieschmerz

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