Lesezeichen setzen
Inhalt melden
Notizbuch

Hintere Kreuzbandruptur

- Länge: 32-38 mm
- 3 Komponenten:

  • anterolaterales Bündel: Anspannung in Flexion, dickster Anteil
  • posteromediales Bündel: Anspannung in Streckung
  • meniskofemorales Bündel

- hintere Kreuzbandruptur führt zu:

  • einer hinteren Schublade: Flexion > Extension
  • nur geringer Instabilität bei Varus-, Valgus- und Rotationsstress

- enger Zusammenhang von posterolateralen Stabilisatoren und hinterem Kreuzband: Kombinationsverletzungen verursachen ausgeprägtere posteriore Instabilität und Außenrotationsinstabilität

- posterolaterale Stabilisatoren:

  • laterales Seitenband
  • Lig. popliteum obliquum
  • Musculus popliteus
  • Lig. popliteum arcuatum

Einteilung:

- akute und chronische Verletzung:

  • akut: <3 Wochen
  • subakut: 3-6 Wochen
  • chronisch: >6 Wochen

- isolierte Verletzung versus Kombinationsverletzung:

  • hinteres Kreuzband und posterolaterale Stabilisatoren
  • hinteres Kreuzband und posteromediale Stabilisatoren
  • hinteres Kreuzband und vorderes Kreuzband

- isolierte Verletzungen des hinteren Kreuzbands können in partielle (Grad 1 & 2) und vollständige (Grad 3) Rupturen unterteilt werden

Klinik / Diagnose:

- Verletzungsmechanismus

  • Hyperflexion: verursacht maximale Anspannung des anterolateralen Bündels und führt oft zu partiellen Rupturen, die nur das anterolaterale Bündel betreffen
    • hintere Schublade: Grad 1 oder 2
    • moderate Schwellung
    • Einschränkung der Beugung um 10-20 Grad
    • Beschwerden bei Beugung
  • Hyperextension oder direktes Anpralltrauma verursachen Kombinationsverletzungen (hinteres Kreuzband und posterolaterale Stabilisatoren)
  • bei jeder Kombinationsverletzung des hinteren Kreuzbandes muss eine Knieluxation ausgeschlossen werden: Pulskontrolle & Kontrolle der Motorik und Sensibilität
  • Verkehrsunfall Motarradfahrer
    • Verletzungen der A. poplitea und des N. peroneus häufig
    • Angiografie, wenn Blutdruckindex <0,8 (Index=Quotient aus systolischem Druck Unterschenkel (A. dorsalis pedis) und Arm (A. radialis))
  • Varus-Valgus-Stress: Verletzung des lateralen (posterolateral corner) oder medialen Seitenbandes

- Tests in der akuten Phase:

  • Anprallmarke an der Tibia
  • Einblutung in der Kniekehle
  • Druckschmerz in der Kniekehle
  • Quadrizepstest:
    • passiv: im Liegen mit dem Unterschenkel parallel zur Untersuchungsliege und dem Knie 90 Grad gebeugt translatiert die Tibia mit der Schwerkraft nach dorsal
    • aktiv: Quadrizepsanspannung führt zu Relokation (hintere Kreuzbandruptur)

 

Abb. 2-46: Klinische Untersuchung einer hinteren Kreuzbandruptur: hintere Schublade (A) und Quadrizepstest (B)
Abb. 2-46: Klinische Untersuchung einer hinteren Kreuzbandruptur: hintere Schublade (A) und Quadrizepstest (B)
Orthoforum

 

- Messung der Instabilität: Distanz zwischen medialem Femurkondylus und Vorderrand des Tibiaplateaus bei 90 Grad Beugung (ggf. Röntgenstressaufnahme im Scheuba-Apparat)

  • normal: steht das Tibiaplateau 10mm vor dem Femurkondylus
  • Grad 1: hintere Schublade von 0-5 mm; kleinere Stufe zwischen medialer Femurkondyle und Tibiaplateau als normal
  • Grad 2: hintere Schublade von 5-10 mm; Stufe verschwunden, Tibiaplateau lässt sich jedoch nicht unter die Femurkondyle schieben
  • Grad 3: hintere Schublade von >10 mm; Tibia lässt sich unter die Femurkondyle schieben

- bei jeder Grad 3 Schublade muss eine Verletzung der posterolateralen Stabilisatoren
ausgeschlossen werden:

  • schwierig: erst Reposition der hinteren Schublade, dann Testen der posterolateralen Stabilisatoren in 90 und 30 Grad Beugung
  • das hintere Kreuzband und die posterolateralen Stabilisatoren sichern das Knie in Außenrotation: das hintere Kreuzband stabilisiert das Knie primär bei 90 Grad Beugung und die posterolateralen Stabilisatoren bei 30 und 90 Grad

- hintere Schublade (90 Grad Flexion):

  • hintere Kreuzbandruptur führt zu einer moderaten hinteren Schublade
  • alleinige Verletzung der posterolateralen Stabilisatoren führt zu keiner hinteren Schublade
  • eine Kombinationsverletzung führt zu einer ausgeprägten Schublade

- Außenrotationsinstabilität (30 Grad ARO):

  • hintere Kreuzbandruptur führt nur zu einer geringen Außenrotationsinstabilität
  • alleinige Verletzung der posterolateralen Stabilisatoren führt ebenfalls nur zu einer geringen Instabilität
  • eine Kombinationsverletzung führt zu einer deutlicheren Außenrotationsinstabilität mit Varus-Thrust (laterales Aufklappen des Gelenks unter Belastung (Gehen))

- Varusinstabilität:

  • hintere Kreuzbandruptur allein führt nur zu einer minimalen Varusinstabilität
  • Verletzung der posterolateralen Stabilisatoren führt allein ebenfalls nur zu einer minimalen Varusinstabilität
  • eine Kombinationsverletzung führt zu einer deutlicheren Varusinstabilität

- Röntgen: AP & seitlich, kleine knöcherne Fragmente können Hinweis auf eine
Kombinationsverletzung sein, Stressaufnahme (hintere Schublade)
- starke Schwellung, Schmerzen die die klinische Untersuchung einschränken: MRT, Genauigkeit 96-100%
- Arthroskopie: „floppy ACL Sign“, lockeres vorderes Kreuzband bei hinterer Kreuzbandruptur kann fälschlich als elongiertes vorderes Kreuzband interpretiert werden

Therapie:

konservative Therapie:
- isolierte Ruptur des hinteren Kreuzbandes

  • akute Verletzung:
    • Grad 1:
      • Teilbelastung für 4 Wochen
      • nach 6 Wochen Sport
      • Quadrizepstraining
    • Grad 2-3:
      • 6 Wochen Ruhigstellung in PTS Schiene in Streckung ( & Teilbelastung)
      • Kräftigung des Quadrizeps (Heben des gestreckten Beins)
      • nach 4. Woche: aktiv assistierte Mobilisation, Fortsetzen des Quadrizepstrainings
      • nach 3 Monaten sportfähig
      • aufgrund des unvorhersehbaren Verlaufs und der möglichen Mitbeteiligung der posterolateralen Stabilisatoren sollte bei Leistungssportlern eine hintere Kreuzbandplastik erwogen werden
      • „isolated PCL injuries don’t all do well“: nicht alle Verletzungen des hinteren Kreuzbandes heilen unter konservativer Therapie
  • chronische Ruptur: Röntgen Belastungsaufnahme, wenn
    • Schublade <10mm (Grad 1-2) und asymptomatisch keine Therapie
    • Schublade <10mm (Grad 1-2) und symptomatisch dann PTS Schiene
    • Schublade >10mm (Grad 3) dann hinterer Kreuzbandersatz
    • Achtung: hoher Prozentsatz an Patienten mit einer chronischen Ruptur hat eine fixierte hintere Schublade

operative Therapie:
- bei Kombinationsverletzungen zeigt die operative Therapie in den ersten 2-3 Wochen die besten Ergebnisse, da bei einem Hinausschieben der Operation eine fixierte Subluxation und posttraumatische Vernarbungen drohen
- Lage des femoralen Tunnels entscheidend für die Biomechanik
- Ziel Wiederherstellung des anterolateralen Bündels:

  • da maximale Anspannung in Flexion, sollte die Bandplastik in 90 Grad Flexion unter Zug des Tibiaplateaus nach vorn (vordere Schublade) fixiert werden

- Rekonstruktion des anterolateralen und posteromedialen Bündels über zwei separate Sehnentransplantate möglich: jedoch nicht Methode der Wahl

  • 2 Femur- und 1 Tibiatunnel oder 2 Femur- und 2 Tibiatunnel
  • technisch sehr anspruchsvoll (Tunnellage, Vorspannung der Bandplastik) ohne dass ein Nutzen nachgewiesen ist

 

Abb. 2-47: MRT zur Beurteilung der Weichteilverletzung nach Knietrauma: intakter Ansatz des hinteren Kreuzbands und partielle Ruptur des Ansatzes der Bicepssehne und des Kollateralbandes (A), intakter Ansatz des hinteren Kreuzbandes und Verlauf der Poplit
Abb. 2-47: MRT zur Beurteilung der Weichteilverletzung nach Knietrauma: intakter Ansatz des hinteren Kreuzbands und partielle Ruptur des Ansatzes der Bicepssehne und des Kollateralbandes (A), intakter Ansatz des hinteren Kreuzbandes und Verlauf der Popliteussehne (B), partielle Ruptur des hinteren Kreuzband (C), medialer (intakt) und lateraler (basisnaher Riss) Meniskus (D), Ansatz des Tractus iliotibialis: intakt (E) und vordere Kreuzbandruptur (F)
Orthoforum

 

- Operation: arthroskopisch assistiert
- Transplantatwahl:

  • Patellasehne (Knochen-Sehne-Knochen), Semitendinosus-Gracilis-Sehne (2-fach oder 4-fach), Achillessehnenallograft
  • Semitendinosus und Gracilis-Sehne sind das Transplantat der Wahl: es macht Sinn, bei einer hinteren Kreuzbandruptur die ischiokrurale Muskulatur zu schwächen (dies verringert den Zug in die hintere Schublade)

- Fixierung: Interferenzschraube
- post-OP:

  • 2-4 Wochen Ruhigstellung in Streckung und Teilbelastung
  • anschließend bis 8. Woche passive Mobilisation
  • nach 8 Wochen aggressiveres Training

- Refixierung eines knöchernen Ausrisses zeigt oft gute Ergebnisse
- wenn bei gleichzeitiger Verletzung der posterolateralen Stabilisatoren nur das hintere Kreuzband rekonstruiert wird, ist die Bandplastik stärkeren Belastungen ausgesetzt und die Versagerrate erhöht

Komplikationen / Prognose:

- das hintere Kreuzband kann heilen, bei korrekter Therapie in der Regel gute Prognose
- chronische Insuffizienz kann Arthrose im patellofemoralen- und medialen Gelenkkompartiment auslösen.
- Operation: Risiko Gefäßverletzung bei Platzierung des tibialen Bohrtunnels
- Postoperative Bewegungseinschränkung

VORHERIGES KAPITEL NÄCHSTES KAPITEL