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Notizbuch

Degenerative HWS Veränderungen

- 50% der über 50-jährigen haben radiologische Hinweise auf degenerative Veränderungen der HWS (Osteochondrose)
- Pathogenese:

  • Degeneration des Bandscheibengewebes (siehe Kapitel Bandscheibenvorfall)
  • reaktive Osteochondrose mit osteophytären Randkantenausziehungen
  • Kompression des Rückenmarks: cervikale Myelopathie
  • Kompression der Halsnervenwurzeln: cervikale Radikulopathie

Klinik:

- klinisch muss unterschieden werden zwischen:(1) Cervikalgie(2) cervikaler Radikulopathie(3) cervikaler Myelopathie- Bewegungsumfang
- neurologische Untersuchung
- Cervikalgie: stärkere Schmerzen bei Reklination als bei Inklination
- cervikale Radikulopathie: radikuläre Symptomatik mit

  • in den Arm ausstrahlenden Beschwerden
  • Muskellähmungen und Taubheitsgefühl, die der betroffenen Nervenwurzel zuzuordnen sind
  • Abschwächung des Kennreflexes
  • axiale Kompression bei gleichzeitiger Neigung und Rotation zur symptomatischen Seite reproduziert die Beschwerden (Spurling Zeichen)

- HWS-Myelopathie:

  • diffuses Taubheitsgefühl der Arme ohne Dermatomzuordnung
  • diffuse Muskelschwäche, nicht eindeutig einer Nervenwurzel zuzuordnen
  • Hoffmann’s Reflex: Strecken des distalen Interphalangealgelenkes des Mittelfingers führt zu reflektorischer Beugung der übrigen Finger (typisch ist eine Seitendifferenz)
  • Faustschluss-Test: öffnen und schließen der Faust sollte innerhalb von 10 Sekunden etwa zwanzig Mal möglich sein
  • Adduktionstest: Finger werden in Extension und Adduktion gehalten, bei einer Myelopathie fallen innerhalb von 30 Sekunden die ulnaren 2 Finger in Flexion und Ulnaabduktion
  • Schwierigkeiten, das Hemd zuzuknöpfen
  • Gangunsicherheit und Probleme beim Treppensteigen
  • 20% der Patienten haben keine Cervicalgie oder radikuläre Symptomatik
  • Matsunaga zeigt, dass alle Patienten mit einer Weite des cervikalen Spinalkanals von weniger als 6mm eine Myelopathie aufweisen, jedoch kein Patient mit einer Spinalkanalweite von mehr als 14 mm

- Röntgen: AP & seitlich (ggf. Re- und Inklination)

  • Spondylophyten und Retrospondylophyten (dorsale Osteophyten, die das Foramen intervertebrale einengen)
  • Vakuumphänomen: Gas in den kleinen Wirbelgelenken oder der Bandscheibe als Ausdruck von degenerativen Veränderungen
  • Höhenminderung des Bandscheibenfaches
  • Facettengelenksarthrose
  • degenerative Spondylolisthesis
  • Pavlov-Index: Quotient aus sagittalem Durchmesser des Wirbelkanals und sagittalem Durchmesser des Wirbelkörpers ≤ 0.8 ist Hinweis auf einen engen Spinalkanal

- MRT: Kompression der Nervenwurzel und des Durasacks durch den Bandscheibenvorfall oder Osteophyten; Abnahme des Wassergehalts der Bandscheibe als Ausdruck degenerativer Veränderungen
- Myelografie: ggf. indiziert
- Differentialdiagnose:

  • Schultergelenkspathologie
  • periphere Nervenkompressionssyndrome
  • Durchblutungsstörungen (Takayasu Arteritis)

 

Nervenwurzel Muskel Reflex Dermatom
C 5

M. deltoideus

M. biceps

BSR

RPR

Delta bis lateraler proximaler Oberarm
C 6

M. biceps

M. brachioradialis

BSR

RPR

Oberhalb des Ellenbogens, radialer Unterarm, Daumen, Zeigefinger radial
C 7

M. triceps

M. pronator teres

M. petcoralis major

TSR Dorsaler Unterarm, ulnarer Zeigefinger, Mittelfinger, radialer Ringfinger
C 8

Handbinnenmuskel

TSR Trömner Dorsaler Unterarm dorso-ulnar, Ring- und Kleinfinger

Tab. 5-1: BSR: Bizeps-Sehnen-Reflex, RPR: Radiusperiostreflex, TSR: Trizepssehnen-Reflex

Therapie:

konservative Therapie:
- Schmerzmedikamente der Stufe 1 & 2 nach WHO Stufenschema
- Muskelrelaxantien (Musaril)
- ggf. Ruhigstellung mit einer Halsstütze
- physikalische Therapie (Fango, Eiskammer, etc.)
- Traktion (bei Patienten mit einer cervicalen Instabilität kontraindiziert)
- Neuraltherapie, Akupunktur
- TENS: transcutane elektrische Nervenstimulation
- epidurale Injektionen und Facettengelenksinjektionen technisch anspruchsvoll
- Krankengymnastik, Muskelaufbau
- ergonomischer Arbeitsplatz (Einstellung der Bildschirmhöhe, etc.)

operative Therapie:
- Indikation:

  • cervikale Radikulopathie mit persistierenden Beschwerden trotz konservativer Therapie
  • cervikale Radikulopathie mit signifikanten Lähmungen oder progredienten Lähmungen
  • ausgeprägte cervikale Myelopathie

 

Abb. 5-1: Bandscheibenvorfall im Segment HWK 5/6 (A), ventrale Ausräumung des Bandscheibenfachs und Cageinterposition (B,C) (Eigentum des Instituts für Klinische Radiologie der Universität Münster)
Abb. 5-1: Bandscheibenvorfall im Segment HWK 5/6 (A), ventrale Ausräumung des Bandscheibenfachs und Cageinterposition (B,C) (Eigentum des Instituts für Klinische Radiologie der Universität Münster)
Orthoforum

 

- Technik:
(1) vorderer Zugang:

  • Ausräumung des Bandscheibenfachs
  • Entfernung von Retrospondylophyten
  • Dekompression und Fusion: Spongiosaplastik und anteriore Wirbelsäulenfusion (Methode der Wahl, vor allem bei ausgeprägter Kyphose) mittels Cage oder Beckenkammspan mit ventraler Verplattung
  • Bandscheibenprothese

(2) dorsaler Zugang:

  • Laminektomie mit oder ohne Stabilisierung
  • Dekompression des Foramen intervertebrale (Foraminotomie)
  • alternativ: Laminoplastik
  • Indikation: vor allem bei lateralen Bandscheibenvorfällen

Prognose / Komplikationen:

- während die cervikale Radikulopathie in der Regel eine günstige Prognose hat, ist der Verlauf der cervikalen Myelopathie eher ungünstig- post-OP Komplikationen:

  • Verletzung der Speiseröhre bei anteriorem Zugang
  • Verletzung des N. recurrens
  • Verletzung der Sympathikusganglien verursacht Horner-Syndrom
  • Duraverletzung
  • Verletzung der Arteria vertebralis
  • Infektion (Spondylodiscitis)
  • bei posteriorem Zugang: Gefahr einer postoperativen Instabilität, wenn keine Spondylodese
  • eine Fusion führt zu vermehrter Bewegung in den cranialen Anschlusssegmenten, Bedeutung unklar
  • 2-Jahresergebnisse nach cervikaler Bandscheibenprothese sind vielversprechend, der Erhalt der Beweglichkeit ist dokumentiert
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